Zirkularatmung – das kleine Wunder

Zirkularatmung ist eine spezielle Atemtechnik, die von Blasinstrumentalisten angewandt wird, um mit dem Blasinstrument sehr lange ununterbrochene Töne zu spielen. Normalerweise entspricht die längste Dauer eines Tones auf einem Blasinstrument einer Lungenfüllung, danach muß man wohl oder übel Luft holen – und dies führt bei fast allen Blasinstrumenten (außer der Mundharmonika) dazu, daß der Ton endet. Mit Zirkularatmung ist man jedoch in der Lage, einen gewissen Luftvorrat im Rachen- und Mundraum anzulegen und in das Mundstück einfließen zu lassen, während man gleichzeitig durch die Nase einatmet. Mit täglich 10 Minuten Übung kann man das erlernen. Du profitierst von den Übungen der Zirkularatmung so umfassend für Dein gesamtes Spiel, daß es am besten ist, wenn Du möglichst früh damit beginnst.
Zirkularatmung kommt selten zum Einsatz, und ob es musikalisch wirklich interessant ist über einige Minuten einen Ton auszuhalten, sei dahingestellt – das Erlernen der Zirkularatmung hat ganz andere entscheidende Vorteile: Man setzt sich mit der Atmung und ihrer Bedeutung auseinander. Die Zirkularatmung erfordert eine starke Zwerchfellatmung und läßt den Bläser gut fühlen, wie diese funktioniert. Dies wiederum verbessert allgemein die Atemtechnik und damit unmittelbar den Klang und dessen Gleichmäßigkeit. Die eigentliche Problematik liegt nicht in der Zirkularatmung an sich oder im Erlernen derselben, denn diese kann man innerhalb kürzester Zeit erlernen. Problematisch ist vielmehr das „Umschalten“ vom Ausblasen des Luftvorrates im Mund auf das Ausblasen der Lungenluft. Genau an diesem Punkt passiert es, speziell wenn man ein Mundstück „im Mund“ hat, daß sich der Ansatz stark verändert und der Luftfluß/Ton schwankt. So ist diese Übung auch ein wertvoller Beitrag zum Erlernen der Ansatzstabilität.
Erster Schritt zur Zirkularatmung
Nimm ein normales Wasserglas, fülle es mit Wasser, nimm einen Strohhalm. Blase jetzt langsam durch den Strohhalm in das Wasser, so daß die Luftblasen gleichmäßig nach oben aufsteigen. Wähle am Anfang einen dünnen Strohhalm. Versuche jetzt, die Wangen mit möglichst viel Luft zu füllen und trotzdem gleichmäßig weiterzublasen.Wenn Du das kannst, dann stoppe die Luftzufuhr aus der Lunge und blase einfach mit dem Luftvorrat den Du in den Wangen gespeichert hast weiter, bis dieser aufgebraucht ist. Wiederhole dies einige Male bis Du es möglichst gleichmäßig beherrscht. Wenn Du das Gefühl hast, daß die Wangen wieder voll aufgeblasen und die Lungen etwa halb leer sind, dann versuche durch die Nase einzuatmen und gleichzeitig mit dem Luftvorrat aus den Wangen weiterhin den Luftstrom im Strohhalm aufrechtzuerhalten. Übe dieses bis Du es sicher kannst.
Jetzt kommt der Punkt, an dem Du nach dem Einatmen durch die Nase wieder auf Ausatmen umschalten mußt, aber nicht durch die Nase, sondern wieder durch den Mund – der Luftstrom durch den Strohhalm darf nicht abreißen! Fülle beim Ausatmen wieder die Wangen mit Luft, damit Du beim nächsten Zyklus genug Luft gespeichert hast. Der nächste Zyklus beginnt immer dann, wenn die Lungen nur noch zur Hälfte gefüllt sind. Wenn Du das kannst, hast Du die Zirkularatmung im Prinzip schon gelernt. Wenn Du willst, kannst Du jetzt einen dickeren Strohhalm benutzen. Damit wird die Zeit, in der sich die Wangen entleeren, kürzer und somit auch die Zeit, die Du zum Einatmen hast. Erst wenn Du diese Übung sicher beherrscht, solltest Du zu nächsten übergehen.
Zweiter Schritt zur Zirkularatmung
Ein wichtiger Punkt bei der Zirkularatmung ist, daß Du die Luft, die in den Wangen und im Rachenraum gespeichert ist, gleichmäßig durch das Mundstück ausströmen läßt. Da dies am Anfang mit Luft schwer zu erlernen ist, übe es jetzt mal mit Wasser. Stelle Dich dazu an ein Waschbecken und fülle Deinen Mund so voll wie möglich mit Wasser. Öffne jetzt ein wenig Deinen Mund und lasse das Wasser in einem dünnen Strahl aus dem Mund laufen. Beobachte dabei den Wasserstrahl und versuche, diesen möglichst gleichmäßig zu halten. Übe so lange, bis Du es sicher kannst. Versuche dabei auch gleichzeitig durch die Nase ein- und auszuatmen, sei aber vorsichtig, daß Du Dich nicht dabei verschluckst.
Dritter Schritt zur Zirkularatmung
Wie Du sicherlich in den vorhergehenden Übungen gemerkt hast, funktioniert das Aufblasen der Wangen nur dann, wenn die Mundöffnung relativ klein bzw. der Strohhalm relativ dünn ist. Bei der nächsten Übung sollst Du lernen, mit Deinem Saxophon einen gewissen Druck in den Wangen aufzubauen. Nimm jetzt Dein Instrument und spiele irgendeinen Ton im mittleren Register. Während Du den Ton spielst, versuche die Bahnöffnung zwischen Blatt und Mundstück so weit zu verkleinern, daß der Druck in den Wangen ansteigt und diese dick werden. Dabei soll der Klang möglichst unverändert bleiben! Auch wenn es nicht richtig ist, mit „dicken Wangen“ zu spielen, so ist es doch gerade am Anfang wichtig, so zu üben. Später, wenn Du die Zirkularatmung beherrscht, wird Dir der Luftvorrat im Rachenraum reichen, am Anfang ist dieser Vorrat jedoch noch zu klein.
Vierter Schritt zur Zirkularatmung
Wenn Du jetzt spielst und schöne dicke Wangen hast unterbreche abrupt das Ausatmen aus der Lunge und lasse jetzt nur noch die Luft aus den Wangen ausströmen bis diese ganz leer sind. Achte darauf, daß der Klang deines Saxophons möglichst lange konstant bleibt. Die Probleme, die Du dabei in den Griff bekommen mußt, haben wenig mit Zirkularatmung, dafür um so mehr mit Deinem Ansatz zu tun. Es ist nämlich gar nicht so einfach, den Luftvorrat gleichmäßig in das Mundstück einströmen zu lassen und den Klang dabei nicht zu verändern, während sich die Wangen immer mehr zusammenziehen.
An dieser Stelle der Übungen solltest Du jetzt versuchen, Deinen Rachenraum wahrzunehmen. Versuche dabei auch, im Rachenraum soviel Luft wie möglich zu speichern. Du machst Dich ganz nebenbei auch mit Deinem Kehlkopf vertraut, der ja eine ganz besondere Bedeutung beim spielen der tiefen Töne hat. Viele Leute haben große Probleme, tiefe Töne auf dem Saxophon zu spielen, weil sich durch einen natürlichen Reflex der Kehlkopf verengt, sobald man das Mundstück in den Mund nimmt. Da aber besonders tiefe Töne einen großen Resonanzraum benötigen, kann man diese kaum mit einem verengten Kehlkopf spielen.Übe dieses alles sehr intensiv, damit die Spieldauer mit der Luft in Deinem Mund möglichst lang wird, denn Du hast später nur diese Zeit, um durch die Nase einzuatmen!
Fünfter Schritt zur Zirkularatmung
In der jetzigen Übung wirst Du Dich mit dem Einatmen befassen. Wie Du in den vorhergehenden Übungen bemerkt hast ist die Zeit, die Du zum Einatmen hast, recht kurz. Erschwerend kommt noch hinzu, daß Du durch die Nase einatmen mußt, was einen zusätzlichen Atemwiderstand bedeutet. Du solltest einatmen, wenn die Lunge etwa noch zur Hälfte gefüllt ist. Dies ist sehr wichtig, damit Du nicht eventuell anfängst zu hyperventilieren (dann atmest Du zu schnell und zu flach) oder aber die Lunge so leer ist, daß der Einatmungsvorgang zu lange dauern würde. Damit Du in einem möglichst kleinen Zeitintervall möglichst viel Luft in Deine Lungen bekommst, mußt Du in dieser Übung lernen, mit dem Zwerchfell zu atmen. Denn nur mit dem Zwerchfell bist Du in der Lage die Kraft und Schnelligkeit aufzubringen um dies zu erreichen.Wenn Du „normal“ einatmest, dann weitet sich der Brustkorb, die Schultern heben sich an und der Bauch kommt etwas hervor. Wenn Du jetzt versuchst mit dieser Atemtechnik möglichst schnell einzuatmen wirst Du merken, daß es nicht funktioniert – es geht zu langsam.
Das Zwerchfell ist ein Muskel und befindet sich direkt unterhalb der Lungen und des Brustkorbs. Versuche einmal, nur mit dem Bauch REFLEXIV zu atmen, also durch das Lösen der Bauchmuskelspannung beim Einatmen und nicht mit dem Brustkorb oder den Schultern. Der Bauch sollte beim Einatmen nach vorn fallen, also dicker werden. Atme stoßweise aus und konzentrierer dich darauf, nicht aktiv einzuatmen, sondern die Luft von selbst wieder in die Lunge einströmen zu lassen. Das geht viel schneller und ist sehr wichtig für die Zirkularatmung.
Sechster Schritt zur Zirkularatmung
Du bist jetzt an dem Punkt, wo Du den gesamten Zirkularatmungszyklus durchlaufen lassen kannst. Übe folgendes: Spiele einen Ton im mittleren Register und blase dabei die Wangen und den Rachenraum möglichst weit auf. Spiele, bis die Lunge etwa noch zur Hälfte gefüllt ist. Unterbreche jetzt das Ausatmen und lasse die Luft aus dem Mundraum in das Mundstück strömen. Gleichzeitig atme kurz und stoßweise mit der Zwerchfell(reflexiv)atmung durch die Nase ein. Schalte jetzt wieder auf Ausatmen um, aber nicht durch die Nase, sondern durch den Mund. Beginne wieder, Deine Wangen und Deinen Rachenraum beim Spielen aufzufüllen.Damit hast Du einen Zyklus durchlaufen, den Du jetzt beliebig oft wiederholen kannst.
Auftretende Probleme
Deine Zeit zum Einatmen ist nur so lang wie Du es schaffst mit dem Luftvorrat im Mund den Ton aufrechtzuerhalten. Daher ergeben sich zwei Ziele beim Üben: Zum einen verbessere Deinen Ansatz dahingehend, daß Du mit möglichst wenig Luft einen schönen tragenden Klang erzeugen kannst und zum anderen verbessere Deine Zwerchfellatmung so, daß Du es schaffst, möglichst schnell einzuatmen.
Durch das Speichern der Luft im Mundraum ergeben sich zwangsläufig Änderungen des Ansatzes und des Klanges. Auch hier zeigt sich, daß – je länger Du regelmäßig übst – eine Entkopplung vom Ansatz erlernbar ist. Je besser Du die Zirkularatmung beherrscht, um so weniger Luft mußt Du zwischenspeichern. Später wird Dir die Luft im Rachenraum ausreichen und Du mußt die Wangen nicht mehr aufblasen.Das schnelle Einatmen mit dem Zwerchfell ist ein Kraftakt, der den ganzen Körper mit einbezieht und damit natürlich auch zu Klangänderungen führt. Im Laufe der Zeit wird das Einatmen aber geschmeidiger und die Zyklusabläufe weicher.
Ein Problem bleibt immer das Umschalten auf das Lungenausatmen, da es hier zu einem plötzlichen Druckanstieg im Mundraum kommt. Auch dies wird im Laufe der Zeit geschmeidiger, läßt sich aber nicht ganz eleminieren. Man kann dieses Problem aber ganz gut überspielen, indem man den Zirkularzyklus mit den Taktschwerpunkten synchronisiert und genau zu diesem Zeitpunkt eine kleine Umspielung oder einen Lauf einbaut. Spielt man sehr viele Zyklen hintereinander, kommt man trotzdem irgendwann an den Punkt, wo es auch mit Zirkularatmung nicht mehr weitergeht. Der Drang mal wieder richtig tief einzuatmen wird einfach zu groß.
Da bleibt nur eins: richtig tief durchatmen!